The Hum ist eine explorative Klubnacht im stetigen Wandel. The Hum erforscht verschiedene Phänomene, Zeitlichkeiten und Politiken von Sound, Tanz- und Clubkultur auf dem Dancefloor selbst.
Dieses Mal gibt es zwei Live-Performances mitzuerleben: Harmonious Thelonious ist ein alter Bekannter vom Düsseldorfer Label für elektronische Musik Italic, namentlich erfand er als Antonelli Electr. die lokale Version von Minimalhouse. Seine neue Identität Harmonious Thelonious exploriert die Kombinationsmöglichkeiten von polyrhythmischer islamischer Musik aus Marokko und Algerien, wie Gnawa oder Joujouka, mit US-amerikanischen Technobeats. In seiner Interpretation entstehen rhythmisch transparente, sehr dichte Dancefloortracks.
Willis Anne ist Initiator der Live Act Night (LAN). Hier gibt es mehr als staubige Clubmusik: LAN versteht sich als ein konzeptuelles Projekt, welches den Möglichkeitsraum von Event, Musik und Videokunst untersucht. Künstler_innen, wie Cloudface, Steve Summers, Perseus Traxx und Steven Tang, wohnten diesen Happenings bei. Für The Hum wird Willis Anne weniger auf vierviertelbetonte Clubmusik setzen, sondern in einer experimentellen Performance zwischen Video, Live-Sampling und Noise zusammen mit Raum und Publikum improvisieren.
Die beiden The-Hum-Kuratorinnen Vinilette und Ultraviolett verfügen zusammen über vierzig Jahre Dj-Erfahrung und begleiten The Hum zum Dancefloor hin und wieder weg. Hier eine kleine Auswahl für The Hum Nr. 94:
Chra – Silence
Chra aus Wien macht das Label Comfortzone. Ihre Musik ist digitaler, roher Ambientnoise. Das Sound-Design ist erdig und punkig auf eine Art. Ihre Kompositionen basieren viel auf Fieldrecordings, dadurch hat ihr Sound etwas organisches, lo-fi-haftes. Ich finde das eine sehr gute Referenz zum Drone von The Hum, diesen geologischen, natürlichen Dronesound, der im deutschen als Brummtonphänomen beschrieben wird und der Namensgeber diese Projektes für ACUD MACHT NEU ist. Brummen, vibrieren, Bassfrequenzen und Resonanz auf der Haut und auf dem Körper und in den Ohren.
Eleh – Empty Summer Endless
Eleh macht zeitgenössiche elektronische Dronemusic und ist sehr stark von Eliane Radigue, der Erfinderin des elektronischen Drone, inspiriert. Eleh gibt es seit 2006 erst und niemand weiß, wer das ist – bestimmt eine ganz bekannte Person, die sich ins Fäustchen lacht. Eliane Radigue und Alessandro Cortini erscheinen auf dem gleichen Label wie Eleh, Important Records. Ich liebe Elehs Drones, weil sie so unglaublich warm und unaufgeregt sind, tolle Titel haben und ich nicht hören kann, wie genau sie produziert sind.
The (Hypothetical) Prophets – Back to the Burner
Für Vinilette handelt es sich bei dem Minimal-Wave-Track “Back to Burner” um perfekte elektronische Avantgarde-Tanzmusik für heute. Diese Musik würde sie gerne die ganze Zeit im ACUD spielen – generell ist Musik aus der Zeit schwierig auf Schallplatte zu bekommen. Viele DJs, die solche Musik spielen, hatten entweder sehr coole, ältere Musikconnaisseurgeschwister oder heute einen sehr gut bezahlten Dayjob. Für Ultraviolett ist das ein bisschen zu definiert-1980er.
CTI (Conspiracy International One) – Hammer House
Dieser Track ist von 1984 und noch etwas rarer. Er ist technoider, oder richtiger: elektroider, und genrebedingt ganz schön uptempo. Wir lieben diese Art Electro. Das ist so schnell, dass es sich wieder prima in der Langsamkeit, Dunkelheit und in dronigen Flächen auflösen lässt und für sich selbst einen luftigen, liquiden Ausblick nach oben ins Licht gibt. Der Track ist einfach magisch und heraufbeschwörend. Auf der Tanzfläche ist er obskur und experimentell und trotzdem kick-ass tanzbar und kombinierbar mit ordentlichem Techno, House oder eben in der Halftime mit allen bezaubernden Langsamkeiten.
Tolouse Law Trax – Eisenbahnzunge
Tolouse Law Trax ist einer unserer gemeinsamen Lieblingsartists und stellt genau die Schnittstelle unseres gemeinsamen Dancefloor-Geschmacks dar. Vinilette mag an diesem Track die verfremdete, fast alienhaft anmutende Stimme in dieser elliptischen Atmosphäre. Hypnotischer Tanz vs. parallierstem Nicht-Tanz. Ultraviolett liebt die Stimmen, nur dieser hochfrequentere, hypnotische Synthiesound ist ihr ein bisschen zu viel. Sie mag eher die monotoneren, weniger dudeligen und dafür beatorientierten analog-patch Tracks.
Peder Mannerfelt – Humming
Peder Mannerfelt war die spannendste Performance beim Atonal Festival letzte Woche. Das Set umspannte experimentelle Ambientsounds, Klangkunst und wahnsinnig anzeckende Andeutungen von 1990er-Hardcoretechno, Ekklektizismus pur. Auch wenn der The Guardian das anders sieht – die haben keine Ahnung von Bewegung, Köpern im Raum und die Wichtigkeit der künstlerischen Performance.
Der Track von Mannerfelt hier ist ruhige und von ihm neu interpretierte Klassische Musik von seinem aktuellen Album The Swedish Congo Record auf dem Label Archives Intérieures. In der Groove hat Ultraviolett darüber geschrieben. Mannerfelt sei Sammler historischer, kontinentalafrikanischer Musik und das Album eine Interpretation von unter Kolonialherrschaft in Belgisch-Kongo gesammelten und archivierten Stücken. Mannerfelt hat daraus obskure Kompositionsminiaturen gebastelt, die uns verspielt um die Ohren plockern. Die originalen Congo Drums dienen als Muster für quirlige Arrangements und eine Exkursion durch die elektronische Musik: von Musique Concrète über analoge Klangsynthese zu Acid.
Getrübt wird das Sounderlebnis nur durch die vom Label behauptete Kritik an der Kolonialgeschichte. Weil Mannerfelt nicht einfach nur sample, sondern interpretiere, entbinde es ihn automatisch von neokolonialer Aneignung. Nun, die europäische Praxis des Sammelns und Archivierens ist Bedingung und Fortsetzung kolonialer Macht. Kritisch betrachtet werden muss also der Kontext: ein weißer, hochgebildeter, europäischer Mann, der bei Auftritten eine Maske trägt und auf einem angesagten belgischen Label ein Album mit diesem Titel herausbringt. Und Ultraviolett, die wiederrum darüber schreiben kann. Gibt es eine andere Lösung?
Harmonious Thelonious – Angewandte Muziek
Kommen wir zum nächsten Fall der Aneignung und Interpretation von dieses Mal religiöser Musik aus Nordafrika. Harmonius Thelonius ist Antonelli Electr. aus Düsseldorf und exploriert die Kombinationsmöglichkeiten von polyrhythmischer islamischer Musik aus Marokko und Algerien, wie Gnawa und Joujouka mit US-amerikanischen Technobeats. In seiner Interpretation entstehen extrem metallische, rhythmisch scharfe, extrem pushende Dancefloortracks, die eher an Detroit-Techno als klassich Gnawa und Joujouka erinnern. Der Verweis auf Josh Halls Kritik an William Bennetts Cut Hands Projekt auf Blackest Ever Black und Bennetts Gegendarstellung darf hier nicht fehlen.
Ike Yard – Loss (Regis Version)
Und dann kommen wir zu Blackest Ever Black bzw. einer Regis Version des großartigen Tracks “Loss” der New Yorker Experimentalelektroband Ike Yard von 1982. Die geistesbeschwörerisch anmutende Stimme enthüllt sich in der reduzierteren Überarbeitung von Regis als Geheimtipp. Rituell und einweihend. Ich liebe diese zerbrochenen, randomisiert wirkenden Beats, die er noch mehr zerfleddert hat. Dekonstruktionsfreude gegenüber klassischer Clubrhythmusstruktur geht bei mir sofort rein. Regis macht hochqualitatives Sounddesign mit einem Hang zu gnadenlos verdichteten Atmosphären im tieferfrequenten Bereich: extrem reduziert, hermetisch und lauernd. Trotzdem ist das niemals dystopisch, vielmehr geht es um eine körperlich, räumlich und zeitlich intensiv spürbare Möglichkeit der Überwindung des seriellen, vielleicht auch digital-visuellen Imperativs dieser Zeit. Regis evolutioniert Stilkulturen der vergangenen dreißig Jahre und schafft dabei genreprägend einen neuen, utopischen Regis-Sound.
Éliane Radigue – Transamorem Transmortem
Éliane Radigue ist für Ultraviolett die größte elektronische Musikerin. Ich liebe ihren alten, rein elektronischen, teils psychoakustischen Dronesound. Sie hat das erfunden. Dieser Track von 1973 ist ein Segen für alle Menschen mit Tinnitus. Wenn es schlimmer wird, kann ich mir einfach einbilden, ich höre eine dieser stundenlangen Kompositionen von Eliane. Sie sind alle tief spirituell, in dem Sinne, dass sie dir Ruhe schenken und viel Zeit. Sie sind invasiv, sie dehnen die Zeit aus, ohne, dass du es merkst. In dem Neuköllner Kunstraum Spektrum veranstaltet dieser unglaublich engagierte Doron Saja die Reihe Sound Portraits. Dort stellte er neulich ein Stück der Trilogie De La Mort in einer Listening Session vor, für das ich vorher noch nicht die Ruhe hatte. Es war großartig. Das muss man dann eigentlich auf CD oder High-End- Schallplatte hören. Sound, der sich so unglaublich distanziert und wertfrei über eine so lange Zeit entwickelt und dich am Ende mit einem zufriedenen Gefühl nach Hause schickt. Als DJ kann ich ihre Stücke einfach heimlich untermischen und so eine gewisse Stimmung vorgeben.
Text: Christin Bolte
Foto: Johannes Büttner & Alexander Seeberg-Elverfeldt
Harmonious Thelonious
Willis Anne
LAN-Berlin
Vinilette
Ultraviolett